Setzt man aktive Filamente einer lokal begrenzten Beleuchtung aus, akkumulieren sich diese zu stabilen Strukturen entlang der Grenzen der beleuchteten Fläche. Auf dieser Grundlage ist es Forscher*innen vom Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation (MPI-DS) gelungen, ein Modell zu entwickeln, mit dem sich die Selbstorganisation fadenförmiger lebender Materie simulieren lässt. Dieses Modell liefert wichtige Erkenntnisse für potentielle technische Anwendungen bei der Bildung von Strukturen.
Fadenförmige Cyanobakterien sammeln sich in Bereichen mit für sie günstigen Lichtverhältnissen an und nutzen die dortige Lichtenergie für Photosynthese. Typischerweise bilden diese Mikroorganismen lange Filamente aus vielen Zellen. Allerdings können sich die fadenförmigen Strukturen lediglich vorwärts oder rückwärts bewegen – beim Verlassen des beleuchteten Bereiches kehren sie ihre Bewegung um, und bleiben so im Hellen. Wissenschaftler*innen vom MPI-DS haben die sich daraus ergebenden Organisationsstrukturen untersucht. Es zeigte sich, dass erst die gegenseitige Wechselwirkung mehrerer Filamente dazu führt, dass sich die Cyanobakterien am Innenrand der beleuchteten Fläche ausrichten und dadurch stabile Strukturen bilden können.
Die Forscher*innen haben dafür mehrere Kulturen von Cyanobakterien in Petrischalen präpariert und beleuchtet. Mit Hilfe von Filtern erzeugten sie verschiedene Lichtmuster und beobachteten anschließend die Selbstorganisation der Bakterien. Bei einem kreisförmigen Lichtmuster sammelten sich die Bakterien vorwiegend am Rand der beleuchteten Fläche an. Bei dreieckigen, trapezförmigen oder anderen beleuchteten Flächen zeigten sich ebenfalls charakteristische Muster aus Filamenten in der Nähe zur Randzone des Lichts. „Das Bemerkenswerte ist, dass die Bakterien sich auch entlang komplexer Strukturen und Kurven arrangieren, obwohl sie sich nur vor- oder zurück bewegen können“, sagt Stefan Karpitschka, Gruppenleiter am MPI-DS und Professor an der Universität Konstanz. „Dies ist ein typisches Beispiel für Emergenz – aus dem individuellen Verhalten eines einzelnen Filaments ergibt sich auf einer höheren Ebene selbstständig eine charakteristische Gesamtstruktur“, fährt er fort.
Die Erkenntnisse aus den Experimenten der Wissenschaftler*innen und dem daraus resultierenden Modell lassen sich auch auf lebende Materie mit vergleichbarer Morphologie anwenden. „Das Modell enthält keine spezifischen Details zur Biologie der Bakterien“, sagt Leila Abbaspour, zusammen mit Maximilian Kurjahn Erstautorin der Studie. „Dieser kollektive Effekt kann also auch in ähnlichen Systemen beobachtet werden und aktive Filamente in die Lage versetzen, sich trotz eindimensionaler Motilität entsprechend den sensorischen Hinweisen aus ihrer Umgebung zu strukturieren“, fährt Kurjahn fort.
Die Ergebnisse dieser Studie liefern somit wichtige Erkenntnisse, die beispielsweise beim Design von sogenannten intelligenten Textilien oder Materialien zum Einsatz kommen können. Diese neuartigen Strukturen und Gewebe basieren ebenfalls auf der Anordnung von einzelnen Fasern und aktiven Filamenten. Durch derartige Mechanismen der Selbstorganisation lassen sich somit möglicherweise neue innovative Materialien entwickeln.
Originalveröffentlichung
Maximilian Kurjahn, Leila Abbaspour, Franziska Papenfuß, Philip Bittihn, Ramin Golestanian, Benoît Mahault & Stefan Karpitschka
Collective self-caging of active filaments in virtual confinement
Nat Commun15, 9122 (2024)
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