Wie robust sind Ökosysteme? Schlüsselindikatoren erlauben Prognosen

Göttinger Forschungsteam an weltweiter Studie zu Zustand und Anpassungsfähigkeit beteiligt

Die Abteilung Bioklimatologie der Universität Göttingen ist mit dem Messsturm im Nationalpark Hainich an der Studie beteiligt. Foto: Alexander Knohl

Ökosysteme erbringen vielfältige Dienstleistungen für den Menschen. Diese hängen von grundlegenden Ökosystemfunktionen ab, die sowohl durch das vorherrschende Klima und Artenvorkommen als auch durch menschliche Eingriffe beeinflusst werden. Ein Forschungsteam hat drei Schlüsselindikatoren ermittelt, die die Funktionsweise terrestrischer Ökosysteme beschreiben: die Fähigkeit, die Primärproduktivität zu maximieren, die Effizienz der Wassernutzung und der Wirkungsgrad der Kohlenstoffnutzung. Das Monitoring dieser drei Kennzeichen ermöglicht es, einzuschätzen, wie anpassungsfähig ein Ökosystem gegenüber Klima- und Umweltveränderungen ist und wie es sich unter bestimmten Bedingungen weiterentwickeln kann.

Die Ökosysteme auf der Landoberfläche erfüllen eine Vielzahl von Funktionen und Ökosystemdienstleistungen. Sie sind für die Gesellschaft von großer Bedeutung, denn intakte Ökosysteme sichern durch die Erzeugung von Biomasse auch unsere Ernährung ab. Sie ermöglichen die Wasserrückhaltung und regulieren das Klima. Klima- und Umweltveränderungen sowie anthropogene Einflüsse gefährden jedoch fortlaufend die Bereitstellung dieser Dienste. Um zu verstehen, wie terrestrische Ökosysteme auf Störungen reagieren, muss man zunächst herausfinden, welche Funktionen für eine gute Darstellung des Allgemeinzustands und der Entwicklung der Ökosysteme am wichtigsten sind. Dies ist insofern schwierig, als dass Ökosysteme hinsichtlich ihrer Struktur und ihrer Reaktionen auf Umweltveränderungen hochkomplex sind.

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unter der Leitung des Max-Planck-Instituts für Biogeochemie (MPI-BGC) in Jena widmete sich dieser Fragestellung. Dazu verwendeten sie Umweltdaten aus globalen Netzwerken von Messstationen, kombinierten sie mit Satellitenbeobachtungen und mathematischen Modellen und setzten statistische und kausale Untersuchungsmethoden ein. Zu den Stationen gehörte auch der Hainich-Flux-Tower, der von der Abteilung Bioklimatologie der Universität Göttingen im Rahmen des europäischen Integrated Carbon Observation System (ICOS) betrieben wird. „Der Standort Hainich spielt innerhalb des Netzwerks eine besondere Rolle, da es sich um einen unbewirtschafteten Wald und zudem einen der ältesten untersuchten Wälder handelt“, sagt Co-Autor Prof. Dr. Alexander Knohl, Leiter der Arbeitsgruppe Bioklimatologie an der Universität Göttingen.

Das Ergebnis der Auswertung ist verblüffend einfach: „Wir konnten drei entscheidende Indikatoren ermitteln, die es erlauben, das Verhalten von Ökosystemen zu erfassen: 1) wieviel Primärproduktivität ist maximal möglich, 2) wie effizient kann das Wasser genutzt werden und 3) wie wirkungsvoll ist die Kohlenstoffnutzung?“, sagt Dr. Mirco Migliavacca, Erstautor der Veröffentlichung.

Unter der maximalen Primärproduktivität versteht man die Kapazität des jeweiligen Ökosystems, Kohlendioxid mittels Photosynthese aufzunehmen. Der Indikator für die Wassernutzung ist eine Kombination von Messgrößen, die auf dem Verhältnis der Kohlenstoffaufnahme und dem von den Pflanzen umgewandeltem Wasser basieren. Der dritte Indikator spiegelt die Nutzung des Kohlenstoffs durch ein Ökosystem wider, d. h. den veratmeten Kohlenstoff gegenüber dem aufgenommenen Kohlenstoff. Die überraschenden Ergebnisse motivierten das Team, darüber nachzudenken, wie komplexe Ökosysteme letztlich von einer kleinen Anzahl wichtiger Faktoren bestimmt werden, so wie dies beispielsweise für die Blattphotosynthese anhand einer Handvoll von Blatteigenschaften festgestellt wurde. „Allein mit diesen drei Hauptkriterien können wir rund 72 Prozent der Variabilität in den Ökosystemfunktionen erklären“, fügt Migliavacca hinzu.

„Mit der Wassernutzungseffizienz als zweitwichtigstem Faktor unterstreichen unsere Ergebnisse zudem die Bedeutung der Wasserverfügbarkeit für die Leistungsfähigkeit von Ökosystemen. Dies wird für die Betrachtung der Auswirkungen des Klimawandels von entscheidender Bedeutung sein“, sagt Prof. Dr. Markus Reichstein, Direktor der Abteilung Biogeochemische Integration am MPI-BGC und Co-Autor.

Das Team untersuchte die Austauschraten von Kohlendioxid, Wasserdampf und Energie an 203 weltweiten Forschungsstationen, die eine große Vielfalt von Klimazonen und Vegetationstypen abdecken. Für jeden Standort ermittelten sie eine Reihe von funktionalen Eigenschaften der Ökosysteme und führten darüber hinaus Berechnungen zu durchschnittlichen Klima- und Bodenwasservariablen, Vegetationsmerkmalen und Satellitendaten zur pflanzlichen Biomasse durch.

Die drei ermittelten Schlüsselindikatoren hängen entscheidend von der Struktur der Vegetation ab, das heißt vom Grüngehalt der Pflanzendecke, dem Stickstoffgehalt der Blätter, der Vegetationshöhe und der Biomasse. Diese Erkenntnisse unterstreichen die Bedeutung der Ökosystemstruktur, denn durch Störungen und Landmanagement wird die Steuerung der Ökosystemfunktionen beeinflusst. Gleichzeitig hängen die Effizienz der Wasser- und Kohlenstoffnutzung entscheidend vom Klima und von der Trockenheit ab, was darauf hinweist, dass der Klimawandel für das künftige Funktionieren der Ökosysteme eine Rolle spielen wird. „Unsere aufschlussreiche Analyse ist ein wichtiger Schritt zur Ermittlung von Indikatoren für das Verhalten und die Gesundheit von Ökosystemen“, bewertet Reichstein. „Sie trägt zu einer umfassenden Beurteilung der Reaktion der weltweiten Ökosysteme auf Klima- und Umweltveränderungen bei.“

Originalveröffentlichung: Mirco Migliavacca et al. The three major axes of terrestrial ecosystem function (2021) Nature. Doi: https://doi.org/10.1038/s41586-021-03939-9

 

Kontakt:
Prof. Dr. Alexander Knohl
Georg-August-Universität Göttingen
Fakultät für Forstwissenschaften und Waldökologie
Abteilung Bioklimatologie
Büsgenweg 2, 37077 Göttingen
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E-Mail: aknohl@uni-goettingen.de
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