Waldhorn-Quartett spielt für Studie live im Magnetresonanztomografen

Ungewohnte Töne sind am 17. Juni 2019 in den Räumen der Forschungsgruppe Biomedizinische NMR am Max-Planck-Institut (MPI) für biophysikalische Chemie zu hören: Die Profi-Musiker von german hornsound sind zu Gast, um sich beim Hornspielen mit der Echtzeit-Magnetresonanztomografie (MRT) filmen zu lassen. Mit dieser MRT-Darbietung unterstützen die Bläser ein Forschungsprojekt.

Peter Iltis (Mitte) verfolgt die Echtzeit-MRT-Aufnahmen mit Dirk Voit (links) und Arun Joseph aus der Biomedizinischen NMR. © Carmen Rotte / Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie

„Okay, are you ready? Los geht’s“, spricht Peter Iltis in das kleine Mikrofon, das vor ihm auf dem Tisch steht. Kurz darauf ist über die Tonaufzeichnung ein Blechblasinstrument zu hören. Die Musik kommt allerdings nicht aus einem Tonstudio oder von einer Bühne, sondern aus einem medizinischen Großgerät – einem Magnetresonanztomografen, der zwei Räume weiter steht.

Der US-Amerikaner ist Professor für Bewegungswissenschaften am Gordon College Wenham in Massachusetts (USA) und gerade am MPI für biophysikalische Chemie in Göttingen, an dem – wie er sagt – einzigen Ort, wo er findet, wonach er sucht: eine mögliche Therapie und Prävention für die fokale Dystonie. An dieser Berufskrankheit leiden unter anderem professionelle Blechbläser: Verkrampfungen von Zunge und Lippen führen dazu, dass die Musiker ihr Instrument nicht mehr auf höchstem Niveau spielen können. Bisher weiß man allerdings kaum etwas darüber, wie sich die Lippen- und Zungenbewegungen betroffener Musiker von denen nicht betroffener unterscheiden. Etwa zwei bis drei Prozent aller Profi-Blechbläser ereilt die fokale Dystonie und kann für sie das berufliche Aus bedeuten. Auch Iltis leidet unter der Krankheit und musste seine musikalische Karriere aufgeben.

Auf der Suche nach einer Therapie für die fokale Dystonie
Jetzt sitzt er im Messraum von Jens Frahm, der am Göttinger Institut die Forschungsgruppe Biomedizinische NMR leitet. Frahm hat in den 1980er Jahren die FLASH-Methode entwickelt, die die MRT-Bildgebung massiv beschleunigte und so deren breiten klinischen Einsatz ermöglichte. 2010 gelang Frahm’s Team ein weiterer Durchbruch: Das FLASH 2-Verfahren macht erstmals Aufnahmen in Echtzeit möglich und erlaubt es so, Videos aus dem Inneren des menschlichen Körpers live aufzunehmen. Diese Technik stellt er nun Iltis zur Verfügung, der zusammen mit Profi-Blechbläsern eine Datenbank aus Echtzeit-MRT-Filmen von spielenden Hornisten, Trompetern und Posaunisten erstellen will, das MRI Brass Repository. Mit dieser einmaligen Datensammlung will er für Mediziner und Forscher eine reichhaltige Informationsquelle schaffen, um dabei zu helfen, eine Therapie für die fokale Dystonie bei Blechbläsern zu finden.

„In der Röhre“, aus der die Melodie kommt, die Iltis über den Lautsprecher hört, liegt Christoph Eß. Er ist Solohornist der Bamberger Symphoniker, Professor an der Musikhochschule Lübeck und Teil des Hornquartetts german hornsound. Eß ist nicht von der fokalen Dystonie betroffen. Im MRT-System bläst er nun kein herkömmliches Horn, denn das hätte hier keinen Platz. Stattdessen spielt er eine Spezialanfertigung, die aus dem Gerät herausragt: Sie sieht aus, als hätte man ein Horn abgerollt und die Ventile entfernt. Das Spielgefühl ist dem eines Naturhorns jedoch sehr ähnlich. Über einen Spiegel blickt der Musiker aus dem Magneten auf einen Bildschirm, der die Noten für die nächste Übung zeigt. Ein blinkender roter Scheinwerfer neben dem Bildschirm dient als Taktgeber. Nach vier Signalen dieses optischen Metronoms und der Durchsage von Iltis beginnt die nächste Messung.

Die Musiker können sich beim Spielen selbst beobachten
Während der Hornist spielt, verfolgt Iltis konzentriert, wie sich dessen Mund und Zunge bewegen. Die MRT liefert Echtzeit-Aufnahmen mit 25 Bildern pro Sekunde gleichzeitig aus zwei unterschiedlichen Perspektiven, die Eß‘ Mund- und Rachenraum im Längs- und Querschnitt zeigen. Bei jedem Ton und jeder Spieltechnik ist die Position der Zunge klar zu erkennen. Die meisten Blechbläser wissen nicht, wie sich ihre Zunge beim Spielen bewegt, da es dort verhältnismäßig wenige positionsempfindliche Nerven gibt. Mit der Echtzeit-MRT können sie jedoch ein detaillierteres Gespür dafür entwickeln, wie sich ihre Zunge bewegt und wie sie ihr Instrument tatsächlich blasen. Die Musiker können sich beim Spielen im MRT-Gerät selbst beobachten, direktes Feedback erhalten und somit eine Art Augen-Zungen-Koordination entwickeln.

Eß ist einer von bald 100 Probanden, die an der Studie in Göttingen mitwirken – auch seine Quartett-Kollegen Sebastian Schorr, Stephan Schottstädt und Timo Steininger von german hornsound sind heute dabei. Noch blicken die Profimusiker Iltis und dem Forschungsteam von Frahm über die Schulter und verfolgen fasziniert die Echtzeit-MRT-Bilder von Eß‘ Spiel. Dann sind sie an der Reihe, im MRT-System die gleichen, genau definierten Übungen zu absolvieren.

Von Iltis’ Forschung sollen nicht nur Profimusiker und Wissenschaftler, die zur fokalen Dystonie forschen, profitieren. Schon heute werden die Echtzeit-Aufnahmen des MRI Brass Repository-Projekts vielfach von Musiklehrern für didaktische Zwecke eingesetzt, um ihren Schülern einen neuen Lernansatz für das Spielen ihres Instruments zu bieten. Später soll die Datenbank für Wissenschaftler und Blechblas-Lehrer im Internet verfügbar sein.

Die letzte MRT-Aufnahme des Tages ist keine einfache Übung, sondern ein kurzes Musikstück. Jetzt muss alles perfekt passen, denn Iltis hat mit den aufeinander abgestimmten Stücken der vier Musiker noch etwas Besonderes vor – nicht im Namen der Wissenschaft, sondern für die Kunst: ein Zusammenschnitt von MRT-Videos der vier Musiker, die das bekannte Horn-Trio von Beethovens Eroica-Symphonie spielen – die erste -Horn-Darbietung eines Ensembles in der Echtzeit-MRT. Iltis ist zufrieden und aktiviert noch einmal das Mikrofon: „Sehr gut, thank you Christoph. That was really great!“