Werden Menschen älter, konzentrieren sie sich zunehmend auf wichtige Sozialpartner und wenden sich verstärkt Familie und engen Freunden zu. Diese aktive Umorientierung auf wenige, besonders enge Beziehungen könnte erklären, warum alternde Menschen in immer kleineren sozialen Netzwerken leben. Da menschliches Verhalten nicht nur die gegenwärtigen Bedingungen unserer modernen Gesellschaft widerspiegelt, sondern auch das Ergebnis unserer evolutionären Vergangenheit ist, können Studien zum sozialen Altern bei unseren nächsten Verwandten Aufschluss über die biologischen Wurzeln dieses Verhaltens geben. Wissenschaftler*innen der Forschungsgruppe Soziale Evolution der Primaten am Deutschen Primatenzentrum (DPZ) – Leibniz-Institut für Primatenforschung und der Abteilung Verhaltensökologie der Universität Göttingen testeten mehrere Hypothesen zu den Ursachen des sozialen Alterns bei freilebenden Assammakaken (Macaca assamensis) in Thailand. Die Forschenden sammelten acht Jahre lang Daten zum Sozialverhalten von Weibchen und fanden so heraus, dass die Größe ihrer sozialen Netzwerke mit zunehmendem Alter abnimmt. Die Weibchen interagierten weiterhin mit ihren engen Sozialpartnern, zogen sich aber allmählich insgesamt aus sozialen Interaktionen zurück. Die Ergebnisse tragen zum Verständnis der evolutionären Ursprünge des sozialen Alterns beim Menschen bei (Proceedings of the Royal Society B).
Soziale Bindungen fördern Gesundheit und Wohlbefinden. Mit zunehmendem Alter reduzieren Menschen jedoch häufig ihre sozialen Kontakte und konzentrieren sich auf die Menschen, die ihnen am wichtigsten sind – Familie und enge Freunde. Ob beziehungsweise wie sehr diese Veränderung im sozialen Engagement durch das Wissen um die begrenzte Lebenszeit, durch physische Einschränkungen eines alternden Körpers oder vielleicht durch die soziale Ausgrenzung älterer Menschen in modernen Gesellschaften motiviert ist, bleibt dabei eine offene Fragestellung. Baptiste Sadoughi, Erstautor der Studie und ehemaliger Promovierender in der Forschungsgruppe Soziale Evolution der Primaten am Deutschen Primatenzentrum, untersuchte die Ursachen des sozialen Alterns bei Assammakaken, einer nahe verwandten, nicht-menschlichen Primatenart, der das Wissen über die eigene Sterblichkeit sehr wahrscheinlich fehlt. Die Assammakakenpopulation an der DPZ-Feldstation in Phu Khieo in Thailand wird seit vielen Jahren beobachtet, es liegen deshalb Tausende von Beobachtungsstunden zum detaillierten Sozialverhalten vor.
„In unserer Studie zum sozialen Altern konzentrierten wir uns auf die Weibchen, da diese ihr Leben lang mit ihren Müttern, Schwestern und Töchtern in ihrer Geburtsgruppe bleiben, so dass wir Verhaltensänderungen im Laufe ihres gesamten Lebens verfolgen können“, erklärt Sadoughi.
Aktiver sozialer Rückzug bei gleichbleibender Vorliebe für wichtige Partner
Sadoughi stellte fest, dass sich die Weibchen mit zunehmendem Alter seltener anderen Weibchen aktiv näherten und weniger Zeit in deren Fellpflege investierten. Weniger soziale Kontakte bedeuten aber nicht zwangsläufig, dass die Weibchen öfter allein sind. Tatsächlich waren ältere Weibchen nicht häufiger räumlich isoliert als jüngere, nur interagierten sie weniger. „Wir gehen davon aus, das ältere Weibchen um jeden Preis versuchen, mit der Gruppe Schritt zu halten, da die Nähe zu anderen einen der besten Schutzmechanismen gegen Raubtiere darstellt. Wenn sie das erreicht haben, fehlt ihnen jedoch die Motivation oder die Energie, sich sozial mit anderen zu beschäftigen“, so Sadoughi.
Angesichts der Parallelen zwischen dem sozialen Altern bei Menschen und Makaken, stellte sich nun die Frage, ob die für den Menschen angenommene zunehmende soziale Selektivität auch die Ergebnisse bei Makaken erklären kann. „Assammakakenweibchen sind selektiv in der Wahl ihrer Sozialpartner. Mit wem ein Weibchen in der Vergangenheit mehr interagiert hat, sagt voraus, mit wem sie jetzt interagieren wird. Aber diese Tendenz, selektiv zu sein und bestimmte Partner anderen vorzuziehen, wird mit dem Alter nicht stärker, wie wir es vom Menschen kennen, sondern bleibt gleich. Selektivität in der Partnerwahl kann also nicht das altersabhängige Schrumpfen des sozialen Netzwerks erklären“, sagt Sadoughi.
Längsschnittdaten sind essenziell für Studien zum Altern
Die Analyse altersbedingter Veränderungen wird noch durch ein weiteres Phänomen verkompliziert, das nicht direkt mit dem zu tun hat, was wir gewöhnlich als Altern bezeichnen. „Mit dem Alter steigt das Sterberisiko. Mit niedriger sozialer Integration und weniger Partnern in der Nähe steigt das Sterberisiko auch, insbesondere bei der Anwesenheit von natürlichen Fressfeinden. Sterben über viele Jahre besonders häufig die Weibchen mit kleinen Netzwerken, dann wächst damit zwangsläufig der Anteil der Alten, die große Netzwerke haben, ein Phänomen, das als selektiver Verlust bezeichnet wird“, erklärt Julia Ostner, Leiterin der Forschungsgruppe Soziale Evolution der Primaten und Letztautorin der Studie. Nur, weil hier Längsschnittdaten zur Verfügung standen, war es möglich, dieses analytische Problem zu lösen und zwischen Veränderungen zu unterscheiden, die tatsächlich mit der individuellen Alterung zusammenhängen, und solchen, die auf demographische Trends zurückzuführen sind.
Erst in den letzten zwanzig Jahren hat die Wissenschaft erkannt, dass auch Wildtiere physiologische, morphologische oder soziale Veränderungen erfahren, die mit dem Alterungsprozess zusammenhängen. Lange Zeit ging man davon aus, dass Individuen in freier Wildbahn nicht lange genug überleben, um Alterungserscheinungen zu zeigen. „Erst jetzt beginnt man zu erkennen, welche Möglichkeiten Langzeitdaten über Tierpopulationen in ihrer natürlichen Umgebung bieten, um zu untersuchen, wie Individuen mit den Herausforderungen des Alterns umgehen,“ sagt Baptiste Sadoughi.
Originalpublikation
Sadoughi B, Mundry R, Schülke O, Ostner J. (2024): Social network shrinking is explained by active and passive effects but not increasing selectivity with age in wild macaques. Proc. R. Soc. B 291: 20232736. https://doi.org/10.1098/rspb.2023.2736