Es herrscht ein ständiger Wettkampf zwischen Virus und Immunsystem: Infolge von Impfung oder Infektion produziert unser Immunsystem Antikörper, die sich an das Spike-Protein von SARS-CoV-2 heften und so verhindern, dass das Virus in Zellen eindringen und sich vermehren kann. Als Gegenmaßnahme entwickelt das Virus Mutationen, welche bewirken, dass Antikörper weniger gut an das Spike-Protein binden können. Seit Mai 2023 ist die als Eris bezeichnete EG.5-Linie von SARS-CoV-2 weltweit auf dem Vormarsch und wurde Anfang August von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als „Virusvariante von Interesse“ eingestuft. Bislang war jedoch unklar was die Ursache für die steigende Verbreitung von Eris ist. Wissenschaftler*innen vom Deutschen Primatenzentrum – Leibniz-Institut für Primatenforschung in Göttingen haben jetzt die Eigenschaften der Eris-Unterlinie EG.5.1 untersucht. Die Forschenden stellten fest, dass EG.5.1 nicht infektiöser ist als ihre Vorgänger, das heißt, sie kann Wirtszellen nicht effektiver befallen. Allerdings kann EG.5.1 neutralisierenden Antikörpern besser entkommen als andere derzeit zirkulierende SARS-CoV-2-Linien und hat somit einen Vorteil bei der Infektion von Personen, deren Immunsystem nach Impfung oder Infektion neutralisierende Antikörper gebildet hat (The Lancet Infectious Diseases).
Nach anstrengenden Jahren der Pandemie mit mehreren Infektionswellen, ausgelöst von immer neuen Virusvarianten und entsprechenden Hospitalisierungsraten hat sich die Situation mittlerweile deutlich gebessert. Große Infektionswellen außerhalb der nasskalten Jahreszeit bleiben aus. Dieser Erfolg geht zu einem großen Teil auf die rasante Entwicklung von Impfstoffen zurück. Viele Menschen konnten gegen SARS-CoV-2 immunisiert werden. Auffrischungsimpfungen mit angepassten Impfstoffen, sogenannte Booster-Impfungen, sowie Infektionen von geimpften Personen mit aktuell zirkulierenden Virusvarianten haben unser Immunsystem zusätzlich trainiert, so dass es auch neu auftretende Virusvarianten in die Schranken weisen kann.
Virus-Varianten: Mutationen im Spike-Protein können neutralisierende Antikörper „abschütteln“
Ein Teil unseres Immunschutzes beruht auf neutralisierenden Antikörpern, die nach Impfung oder Infektion von den Zellen unseres Immunsystem gebildet werden. Neutralisierende Antikörper heften sich an das Spike-Protein von SARS-CoV-2 an und verhindern so, dass das Virus in unsere Zellen eindringen kann. Man spricht hierbei auch von Neutralisation. Ein 100-prozentiger Schutz vor einer SARS-CoV-2-Infektion ist allerdings trotzdem nicht gegeben, da auch SARS-CoV-2 sich verändern kann. So entstehen immer wieder mutierte Virusvarianten, welche die Fähigkeit erlangen können, den neutralisierenden Antikörpern zumindest teilweise auszuweichen. Dieser Prozess wird auch als Antikörperflucht bezeichnet und beruht darauf, dass Mutationen im Spike-Protein bewirken, dass die neutralisierenden Antiköper nicht mehr optimal binden können. „Außerdem können Mutationen die Übertragbarkeit von SARS-CoV-2-Varianten verbessern, indem sie zum Beispiel die Bindung des Spike-Proteins an den zellulären Rezeptor ACE2 verbessern“, sagt Markus Hoffmann, Infektionsforscher am Deutschen Primatenzentrum.
Mutationen im Spike-Protein der Eris-Unterlinie EG.5.1 erhöhen die Fähigkeit zur Antikörperflucht
Seit Mai 2023 ist die SARS-CoV-2-Linie EG.5, inklusive ihres Abkömmlings EG.5.1, in vielen Ländern auf dem Vormarsch. Die von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als „Virusvariante von Interesse“ eingestufte Linie wird auch als Eris bezeichnet, benannt nach der griechischen Göttin des Chaos und der Zwietracht. Obwohl dieser Name unheilvoll klingen mag, so gibt es derzeit keinen Hinweis darauf, dass Infektionen mit EG.5 und EG.5.1 vermehrt zu schwereren Erkrankungen führen. Allerdings ist noch unklar, was die Ursache für die steigende Verbreitung von EG.5 und EG.5.1 ist. Ein Team aus Wissenschaftler*innen vom Deutschen Primatenzentrum – Leibniz-Institut für Primatenforschung in Göttingen, der Medizinischen Hochschule Hannover und der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg hat die Eris-Unterlinie EG.5.1 untersucht. „Wir haben Hinweise darauf gefunden, dass eine erhöhte Fähigkeit zur Antikörperflucht die wahrscheinliche Ursache für die verstärkte Ausbreitung von Eris ist“, sagt Markus Hoffmann, Leiter der Studie.
„Wir haben getestet, wie gut die Eris-Unterlinie EG.5.1 in Zellen eindringen kann und wie effizient sie von Antikörpern im Blut von geimpften Personen ohne SARS-CoV-2-Infektion sowie von geimpften Personen mit SARS-CoV-2-Infektion neutralisiert wird. Dabei haben wir festgestellt, dass EG.5.1 im Vergleich zu anderen aktuell zirkulierenden SARS-CoV-2-Linien keinen Vorteil bei der Infektion von Wirtszellen besitzt. Im weiteren Verlauf der Untersuchungen zeigte sich allerdings, dass EG.5.1 weniger gut von Antikörpern neutralisiert wird, welche im Blut von geimpften beziehungsweise geimpften und infizierten Personen vorhanden waren“, erklärt Lu Zhang, Erstautorin der Studie. Die Versuche wurden aus Sicherheitsgründen nicht mit infektiösen Viren, sondern mit im Labor hergestellten, nicht-vermehrungsfähigen Viruspartikeln, sogenannten Pseudoviren, durchgeführt.
„Zusammenfassend lassen unsere Ergebnisse den Schluss zu, dass der Vormarsch von EG.5 und seinen Unterlinien vorranging auf Antikörperflucht beruht und nicht auf einer verbesserten Infektion von Wirtszellen. Der Anstieg bei Fähigkeit zur Antikörperflucht ist allerdings eher moderat und mitnichten ausreichend, um unsere Basisimmunität komplett zu unterwandern“, kommentiert Studienleiter Markus Hoffmann das Ergebnis der Untersuchungen.
Angepasste Impfstoffe sollten auch gegen EG.5 und seine Unterlinien wirksam sein
Im Herbst dieses Jahres werden neuangepasste SARS-CoV-2/COVID-19-Impfstoffe zum Einsatz kommen, die auf Basis der weitverbreiteten XBB.1.5-Linie von SARS-CoV-2 hergestellt wurden. Nun besteht die Frage, ob diese Impfstoffe auch gegen EG.5 und seine Unterlinien wirksam sein werden. „Da es sich bei Eris um einen Abkömmling der nahverwandten XBB.1.9-Linie handelt und die verschiedenen XBB-Unterlinien untereinander nur geringfügige Unterschiede aufweisen, ist davon auszugehen, dass die neuangepassten Impfstoffe auch gegen EG.5 und seine Unterlinien wirksam sein werden. Eine Erst- beziehungsweise Auffrischungsimpfung, insbesondere für Risikogruppen und ihre Angehörigen, ist daher ratsam“, schließt Stefan Pöhlmann, Leiter der Abteilung Infektionsbiologie am Deutschen Primatenzentrum.
Originalpublikation
Lu Zhang, Amy Kempf, Inga Nehlmeier, Anne Cossmann, Alexandra Dopfer-Jablonka, Metodi V. Stankov, Sebastian R. Schulz, Hans-Martin Jäck, Georg M. N. Behrens, Stefan Pöhlmann, Markus Hoffmann (2023): Neutralisation sensitivity of SARS-CoV-2 lineages EG.5.1 and XBB.2.3. The Lancet Infectious Diseases, DOI: https://doi.org/10.1016/S1473-3099(23)00547-9
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