Die gesamte Sonnenscheibe in bisher unerreichter Detailschärfe – das zeigen Bilder der sichtbaren Sonnenoberfläche die Forschende des Max-Planck-Instituts für Sonnensystemforschung (MPS) in Göttingen jetzt aus Aufnahmen der ESA-Raumsonde Solar Orbiter erstellt haben. Die neuen Ansichten beruhen auf Messdaten des Polarimetric and Helioseismic Imager (PHI) vom 22. März vergangenen Jahres. Zu diesem Zeitpunkt hatte Solar Orbiter knapp außerhalb der Umlaufbahn des Merkurs einen unverstellten Blick auf unseren Stern. Erkennbar sind die typischen Merkmale der Sonnenoberfläche: das wabenartige Muster aus auf- und abströmendem Sonnenplasma, dunkle Sonnenflecken sowie deren filigran strukturierte Randbereiche. Weitere Bilder machen die Stärke des Magnetfeldes sowie die Strömungsrichtung sichtbar. Zeitgleich eingefangene Messdaten der heißen Korona, aufgenommen von Solar Orbiters Extreme-Ultraviolet Imager (EUI), erlauben es nachzuvollziehen, wo und wie die zum Teil temperamentvollen Prozesse der Sonnenatmosphäre entstehen.
Kein Körper in unserem Sonnensystem ist so dynamisch und vielschichtig wie die Sonne. Um möglichst all ihre Eigenheiten aufzudecken, ist die ESA-Raumsonde Solar Orbiter mit insgesamt sechs Messinstrumenten ausgestattet, die in verschiedene Schichten unseres Sterns blicken. So fängt etwa das Instrument EUI die besonders kurzwellige ultraviolette Strahlung der Sonne ein, die ihren Ursprung vornehmlich in ihrer heißen äußeren Atmosphäre, der Sonnenkorona, hat. Das Doppelteleskop PHI richtet seinen Blick auf die darunterliegende, sichtbare Oberfläche, die Photosphäre. Das Licht, das von dort abgestrahlt wird, enthält auch Informationen über die Stärke des Sonnenmagnetfeldes und die Bewegungsrichtung des Sonnenplasmas. Die heute veröffentlichten Aufnahmen entstanden aus Messdaten beider Instrumente vom 22. März 2023.
„Wenn man die Sonne in ihrer Gesamtheit verstehen will, ist es unabdingbar gleichzeitig und mit hoher Auflösung in all ihre Schichten zu schauen“, so MPS-Direktor Prof. Dr. Sami K. Solanki, wissenschaftlicher Leiter des PHI-Teams. „Das kann Solar Orbiter wie keine Raumsonde vor ihr“, fügt er hinzu. Neben der umfangreichen Instrumentierung ist ein weiterer Vorteil der Raumsonde ihre außergewöhnliche Flugbahn. Sie führt Solar Orbiter auf langgezogenen Ellipsen um die Sonne herum – und so immer wieder auf weniger als ein Drittel des Abstandes zwischen Erde und Sonne an unser Zentralgestirn heran. Das entspricht etwa 42 Millionen Kilometern.
Am 22. März vergangenen Jahres trennten Solar Orbiter etwa 74 Millionen Kilometer von ihrem Forschungsobjekt. Aus dieser „Nähe“ ist die Sonne zu groß, um komplett ins Sichtfeld des hochauflösenden Teleskops von PHI zu passen. Stattdessen gelangen über einen Zeitraum von mehreren Stunden insgesamt 25 Teilaufnahmen, die Forschenden des PHI-Teams nun mosaikartig zu Gesamtansichten der Sonne vereint haben.
„Die Informationen, die wir beispielsweise für unsere magnetischen Karten der Sonne benötigen, verstecken sich nur in einem winzigen Teil des eingefangenen Lichtes“, erklärt MPS-Wissenschaftler Dr. Johann Hirzberger aus dem PHI-Team, der die Mosaike erstellt hat. „Die Daten können deshalb an Bord der Sonde kaum komprimiert werden. Wegen des großen Abstandes zur Erde und der vergleichsweise geringen Datenübertragungsrate erreichen uns die riesigen Datenmengen, die so anfallen, zum Teil erst Monate nach der Messung“, fügt er hinzu. Da Solar Orbiter während der Messungen zudem immer weiterfliegt, entstehen die einzelnen Teilansichten alle aus leicht unterschiedlichen Blickwinkeln. Diese Effekte müssen beim „Zusammenpuzzeln“ der Mosaike sorgfältig berücksichtigt werden. Dennoch erwartet das PHI-Team, ähnliche hochaufgelöste Ansichten der gesamten Sonnenscheibe demnächst schneller und zudem regelmäßig etwa zweimal im Jahr zu liefern. Sie werden helfen zu verstehen, wie sich unser Bild der Sonne als Ganzes aus ihren kleinsten Strukturen und Prozessen zusammensetzt.
Die heute veröffentlichten Gesamtansichten der Photosphäre haben eine Auflösung von etwa 175 Kilometern pro Pixel. Damit bleibt ihre Detailschärfe hinter der Genauigkeit der leistungsfähigsten Sonnenteleskope auf der Erde zurück. Allerdings können die irdischen Sonnenspäher nur einen sehr kleinen Ausschnitt der Sonnenoberfläche hochaufgelöst abbilden. Und wegen der schwierigen Beobachtungsbedingungen auf der Erde, wo ständige Luftturbulenzen den Blick stören, ist es kaum möglich, diese „Sonnenschnipsel“ jemals zu einem Ganzen zusammenzusetzen. Da die Erdatmosphäre zudem die ultraviolette Strahlung von der Sonne größtenteils verschluckt, sind zeitgleiche Aufnahmen der Korona von der Erde aus ebenfalls nicht möglich.
Kontakt
Dr. Birgit Krummheuer
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Krummheuer@mps.mpg.de